Alina Bronsky, Pi mal Daumen
erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch
Man sieht ihn förmlich vor sich: Oscar, gerade mal 16 Jahre alt, sitzt als Erstsemester etwas abseits im Hörsaal einer Universität und folgt konzentriert den Ausführungen des Professors. Der hochbegabte Junge hat geade sein Mathematikstudium begonnen und ist ein wahrhaftiges Genie in diesem Fach, im Gegensatz zu so manchen seiner Mitstudenten. Doch Oscar hat es nicht leicht. Er versteht nicht, dass die anderen über die Komplexität der Aufgaben stöhnen und statt mathematischen Problemen lieber zwischenmenschliche beraten. Das ganze soziale Miteinander bleibt Osacr fremd, zu unkonkret und chaotisch ist dies alles für den Ordnungsfanatiker, der eigentlich nur wahr und falsch als Kategorien akzeptiert.
Doch da tritt Moni in sein Leben. Sie ist eine Studentin im mittleren Alter und platzt mit Thermoskanne, Keksen sowie ständigem Handykontakt zu Tochter oder Enkelkindern in seine geordnete Welt. Sie adoptiert den sperrigen Jungen sofort. Und nach einer Weile beginnt Oscar, dies zuzulassen und erkennt, dass zwischen wahr und falsch eine ganze Welt liegt.
Lustig, traurig, herzerwärmend und nachdenklich erzählt Alina Bronsky von ihren nicht immer liebenswürdigen Charakteren. Moni bleibt lange eine zwar sympathische, aber doch sehr rätselhafte Figur. Das verleiht dem Roman eine nicht unwesentliche Spannung. Oscar hingegen, aus dessen Perspektive der Text erzählt ist, weckt sofort den Beschützerinstinkt – trotz all seiner Macken und Vorurteile und seiner schroffen Art. Das das Ende der Geschichte ein wenig bemüht ist, fällt nicht ins Gewicht. Denn im Ganzen ist dieser Roman ein herrliches Lesevergnügen und endlich mal wieder eine wirkliche Geschichte mit tollen Figuren!
Ines Klisch [September 2024]