Anthony Doerr, Wolkenkuckucksland
erschienen bei C.H.Beck
Mit „Wolkenkuckucksland“, einem herausragenden Schmöker dieses Leseherbsts, hat Anthony Doerr ein faszinierendes und fesselndes Buch geschrieben, dessen vielschichtiger Inhalt kaum kurz zusammenzufassen ist. Die Handlung ist in mehrere Erzählstränge aufgeteilt, die sich über einen geschickten Kniff des Autors miteinander verbinden:
Die dreizehnjährige Anna arbeitet im Konstantinopel des Jahres 1453 als Stickerin für den strengen Kalaphates. Die Sarazenen stehen vor den Toren Konstantinopels und Anna ist nur allzu klar, dass die alten Mauern der Stadt dem Heer des Sultans nicht standhalten können.
An einem schicksalhaften Abend im 21. Jahrhundert treffen in Lakeport, Idaho der Rentner Zeno und der etwa sechzehnjährige Seymour aufeinander. Während Zeno im Oberstock der Stadtbibliothek mit einer Kindergruppe ein Theaterstück probt, platziert Seymour im Erdgeschoss eine Bombe.
Seit mehr als sechzig Jahren ist das Raumschiff Argos schon unterwegs, um auf einem erdähnlichen Planeten eine neue menschliche Zivilisation zu begründen. Die Erde ist mittlerweile nahezu unbewohnbar geworden und die Argos trägt, gebündelt in einer selbständigen künstlichen Intelligenz, eine Art kulturelles und biologisches Gedächtnis in die Zukunft. Durch eine tragische Entwicklung ist die fünfzehnjährige Konstance die scheinbar letzte Überlebende der Besatzung und allein mit ihrer Verzweiflung – und dem Wissensschatz.
Changierend zwischen historischem Roman, sozialkritischer Gegenwartsbeschreibung und Dystopie war es sicherlich kein leichtes Unterfangen, diese Stränge miteinander zu einem Roman zu verbinden. Das gelingt Anthony Doerr doch durchgängig überzeugend: Eine Erzählung eines antiken Autors verbindet die drei Romanebenen. Antonius Diogenes Bericht über die abenteuerliche Reise des Hirten Aethon in die Wolkenstadt ist eine Schelmengeschichte, die ihrem Publikum zeigt, dass das scheinbar Unmögliche doch möglich werden kann. Die drei Protagonisten von Anthony Doerrs Roman tragen in ihrer jeweiligen Zeit dazu bei, dass die Erzählung vom Wolkenkuckucksland nicht in Vergessenheit gerät und ihre hoffnungsspendende Botschaft weiter tragen kann. „Wolkenkuckucksland“ ist ein abwechslungsreiches Leseerlebnis für alle ab 14 Jahren.
Ines Klisch [2021]