Raynor Winn, Überland
übersetzt von Christa Prummer-Lehmair, Heide Horn und Rita Seuß, erschienen im Dumont Verlag
Neulich entdeckte ich ein neues Buch von Raynor Winn bei uns im Regal. Was für eine Freude. Denn auch der „Salzpfad“ und „ Wilde Stille“ gehören bereits zum Programm bei uns. Die Geschichte, die hinter den drei Büchern steht, ist folgende: Zwei Schicksalsschläge haben das Leben Von Raynor Winn und Ehemann Moth nachhaltig verändert. Sie haben durch die Fehlspekulation eines Freundes ihre Farm in Cornwall und ihr ganzes Vermögen verloren und Moth bekam eine Diagnose: CBS, eine seltene neurodegenerative Krankheit. Bereits in „ Salzpfad“ brechen die zwei auf um dem Schicksal zu trotzen, indem sie eine Wanderung auf einem der vielen Trails in England begannen. Und siehe da, Moths neurologischer Zustand besserte sich. Diesmal nun, Moths Zustand ist wieder schlechter, lautet die Empfehlung der Ärzte: Anstrengung vermeiden und aufpassen beim Treppensteigen! Nicht direkt eine Einladung zum Wandern auf Fernwanderwegen.
Warum sie sich für den Kap Wrath Trail, die härteste Wanderroute Großbritanniens entscheiden, die 350 km unmarkiert durch Sümpfe, Flüsse, windige Ebenen und über hohe Berge geht, ist rational nicht nachvollziehbar. Die Tour, begonnen im Mai, im englischen Dauerregen und in Kälte ist anfangs so hart, das Moth bereits nach einem halben Kilometer erschöpft ist. Doch bald schon werden die Tage wärmer und es scheint, als würde das Wandern seine Synapsen neu beleben. Beide schöpfen Kraft aus den Ausblicken von Hügeln auf Flüsse, die im Sommerlicht glitzern oder wenn sie morgens aus dem Zelt kommend Rothirsche beobachten.
Raynor Winn hat uns hier eine Geschichte erzählt, die zutiefst authentisch und frei von Romantisierung ist. Sie schreibt über den Verlust der Biodiversität in Großbritannien, das langsame Verschwinden der Tierwelt, über Obdachlosigkeit und Landflucht. Und gleichzeitig ist dieses Buch ein beeindruckendes Zeugnis der menschlichen Stärke und der Regenerationsfähigkeit des Körpers, wenn man über seine Grenzen geht. Dieses Buch ist also ein klein wenig traurig, aber in erster Linie hoffnungsvoll – und wunderbar zu lesen.
Barbara Weil [2023]